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Rennbericht zum Ironman Italy

 

IRONMAN ITALY EMILIA ROMAGNA 2017

 

 

Da war er endlich der große Tag, der Tag, dem ich so entgegengefiebert habe und der Tag, der mich im täglichen Training bis zur totalen Erschöpfung angetrieben hat. Ich war sowas von angefixt und selbstsicher, dass ich das Ding rocken werde – nichts sollte mich aufhalten.

 

Wenn man dann noch eine Familie hinter sich weiß, die mindestens genauso aufgeregt an der Startlinie steht und die hofft, dass sich die tägliche Schinderei mit den persönlichen Ambitionen deckt – was, ja was soll mir da schon passieren?

 

Es ist Samstag 4:45 Uhr. Der Wecker klingelt nicht, muss er auch nicht, weil ich schon an meinem Handy die Wetterdaten und Windverhältnisse für die Radstrecke checke. Aus dem Nachbarzimmer höre ich schon Geräusche, Meike und die Kinder sind wach. Wir alle sind extrem aufgeregt. Ich bereite meine Flaschen vor, packe die Gels, den Garmin und die Schwimmsachen in meinen Rucksack und gehe gedanklich nochmal durch ob ich auch wirklich an alles gedacht habe. Um 5 Uhr sitzen wir bereits am Frühstückstisch. Um uns herum sitzen viele weitere Starter aus verschiedenen Nationen, es herrscht eine angespannte Atmosphäre.

 

Unser Hotel liegt in Milano Marittima, etwa 4 km vom Start in Cervia entfernt. Wir fahren mit dem Auto in Richtung Wechselzone und erwischen einen guten Parkplatz, nicht weit vom Schwimmstart entfernt.

 

Die Wechselzone in Cervia weist vom Schwimmausstieg bis zum Radaufstieg eine Gesamtlänge von ca. 1,1 km auf und ist somit die längste die bei einem Ironman angeboten wird. Man bekommt also mehr km für sein Geld. Folglich kann man mal 2 km für die Wechselzone (swim-bike-run) einplanen.

 

Es ist eine Premiere, dass Ironman eine Langdistanz in Italien ausführt. Es kommt einem allerdings so vor als wäre der Wettkampf schon lange im Rennkalender etabliert. Es läuft einfach alles sehr reibungslos und top organisiert ab.

 

Der Schwimmstart befindet sich am breiten Strand von Cervia. Die Schwimmstrecke in der Adria ist gut mit Bojen abgesteckt und relativ leicht schon vom Strand aus zu erkennen. Es wird ein rolling start ausgeführt und die Einteilung des Startfeldes erfolgt nach Selbsteinschätzung zur erwarteten Schwimmzeit. Der Einstieg ins Meer ist sehr flach, vergleichbar z.B. mit dem IM 70.3 auf Rügen. Die Schwimmstrecke teilt sich in 2 Abschnitte auf. Der erste Abschnitt weist eine Länge von 2,2 km auf, dann folgt ein Landgang und im Anschluss daran folgen noch einmal 1,6 km im Wasser. Insgesamt habe ich mich, mit knapp 70 Schwimmkilometern in 2017, deutlich intensiver auf das Schwimmen vorbereitet als ich es noch bei meinen ersten beiden Langdistanzen getan habe. Ich war überrascht, als ich bereits nach ca. 58 min den Meeresboden beim Armzug ertastete. Sofort richtete ich mich auf und rannte bzw. hüpfte im Wasser die letzten Meter in Richtung Wechselzone. Der Blick auf die Uhr mit 00:58:46 gab mir ein extrem positives Gefühl (Du bist vorne mit dabei)!


Der Wechsel war erwartungsgemäß lang aber er lief auch ohne Probleme ab. Auf dem Rad verfolgte ich den Plan nicht zu schnell anzugehen und mir die Kräfte einzuteilen, bzw. genug Reserven fürs Laufen aufzusparen. Ich habe mir, anders als bei meinen letzten Langdistanzen, auch einen Ernährungsplan zurechtgelegt. Jede Stunde habe ich mir konsequent ein GU-Gel reingezogen. Das habe ich bereits im Vorfeld bei der Haute Route getestet und als gut empfunden. Ich hatte auf dem Rad ständig das Gefühl gut versorgt zu sein und keine Magenprobleme.

 

Beim IM Italy müssen 2 Runden gefahren werden. Die Radstrecke ist mit Ausnahme eines Anstieges – Länge ca. 2,5 km mit 200 HM - überwiegend flach, aber sehr windanfällig. Am Asphalt wurde bis kurz vor dem Wettkampf intensiv gearbeitet. Es rollt sich wirklich gut und es gibt wenige Abschnitte wo es mal richtig kernig wird. Bereits bei der Wettkampfbesprechung wurde uns offeriert, dass die Strecke nicht wie üblich eine Länge von 180 km, sondern eher 185 km aufweist. Da ich auf dem Rad meine größte Stärke sehe, hat mich diese Information, einen Tag vor dem Rennen, relativ kalt gelassen. Es folgte allerdings auch eine Entschuldigung für die Wahl der Radstrecke, mit dem Ausblick, dass sich diese wohl zum nächsten Jahr ändern wird. Ok dachte ich mir, was soll schon sein….

 

Die erste Runde lief prima, ich hatte einen Schnitt von 37,7 km/h und das Gefühl nach bereits zurückgelegten 95 km gerade erst losgefahren zu sein. Ich spürte keine Anzeichen von Ermüdungserscheinungen und rief Meike nahe des Wendepunktes zu, dass es heute mal so richtig läuft. Auf der zweiten Runde frischte der Wind zum Ende deutlich auf und drehte unglücklich – gefühlt immer gegen die Fahrtrichtung -, so dass ich mich dazu entschied die Leistung zu reduzieren und den Schnitt nicht mit Gewalt zu halten. Mir war bewusst, dass ich noch Reserven für den Marathon benötige. Zu diesem Zeitpunkt war ich relaxt und aufgrund der Tatsache, dass von hinten nichts kam auch überzeugt davon gut zu performen.

 

Der Schnitt fiel zum Ende der Radstrecke auf 36,9 km/h. Kurz vor dem Wechsel ereignete sich dann ein dummer Fehler. Nachdem ich die Schuhe geöffnet habe und barfuß auf dem Schuh im eingeklickten Pedal stand drehte ich den Schuh bei Einleitung des Wechsels aus dem Pedal und stürzte unglücklich auf den Asphalt. Ich denke ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch eine Geschwindigkeit von ca. 20 - 25 km/h. Die Erinnerung vom Aufprall ist gar nicht mehr vorhanden. Ich weiß, dass ich mich aufgerafft habe und das Gefühl hatte, zum Glück ist gar nichts passiert. Läuft Junge! Ich bin unter lautstarkem Zuruf der italienischen Zuschauer aufgestanden und habe mich vergewissert, dass sich die Beine schmerzfrei bewegen lassen. Ich sammelte mein Visier vom Helm ein und meinen Schuh und schob mein Rad die letzten Meter zur Wechselzone. Beim Einlaufen in die Wechselzone bemerkte ich, dass mein neuer Einteiler im Schulterbereich zerfetzt war und etwas Blut und Wundwasser aus den Schürfwunden suppte.

 

 

 

Meike stand mit den Kindern außerhalb der Wechselzone, als Orientierung für mich genau da, wo ich mein Fahrrad einhängen musste und demnach ca. 300 m von der Unfallstelle entfernt. Sie guckte mich entgeistert an und fragte was passiert sei. Ich rief ihr zu, dass alles ok ist, ich nur einen kleinen Sturz hatte, aber mich gut fühle.

 

Abschließend kann ich zur Radstrecke folgendes sagen:

 

                Asphalt                -              gut

 

                Streckenprofil                   flach aber mit 183 km zu lang,

 

                Windanfälligkeit               sehr hoch

 

                Abwechslungsreich          nein, gefühlt wie 5 Stunden Rolle fahren (Am schlimmsten waren die 50 km auf der Schnellstraße)  

 

                Zuschauer                          wenig, mit Ausnahme am Berg in Bertinori

 

Insgesamt eine sehr sehr langweilige Radstrecke die ihren Höhepunkt zweifelsohne beim 10 bis 15-minütigen Anstieg nach Bertinori hat. Ich gehe davon aus, dass die Radstrecke fürs nächste Jahr geändert und angepasst wird.

 

Nachdem ich also festgestellt hatte, dass ich trotz Sturz in bester Verfassung bin und mit dem Wissen unter 1 Stunde geschwommen und unter 5 Stunden auf dem Rad unterwegs gewesen zu sein, schnappte ich mir meine Laufbeutel, zog die Schuhe an, setzte die Kappe auf und machte mich auf den Weg zum abschließenden Marathon.

 

Doch was war das?! Krämpfe in der Leiste, in den Oberschenkeln, in den Waden, in den Fingern, unter den Füßen, einfach überall. Nicht schwächeln jetzt, Junge zieh durch redete ich mir ein! Ich laufe also unbeirrt weiter und rede mir zu, dass sich die Krämpfe in den nächsten Minuten lösen werden. Wie geplant laufe (erzwinge) ich auf den ersten 5 km einen Schnitt von ca. 4:30 min/km, aber es löst sich nichts, gar nichts. Nein, es wird immer schlimmer. Es sind mittlerweile in der Sonne über 30 Grad. Das interessiert mich gerade aber gar nicht. Ich ärgere mich über meinen Körper und über das Gefühl nicht mehr richtig laufen zu können. Ich bin platt wie eine Briefmarke – ich bin total im Arsch! Junge du gehst hier total ein, du packst das nicht bis ins Ziel höre ich eine Stimme in mir!

 

Ich laufe enttäuscht von mir selbst weiter und freue mich über jede Verpflegungsstelle. Ich halte an um mich zu versorgen und gehe ein paar Schritte, um am Ende der Verpflegungsstelle wieder anzulaufen. Im Grunde stellen die Verpflegungsbereiche an diesem Tag eine Art der kurzzeitigen Erlösung für mich dar. Ich denke an meine Familie und an meine Trainingspartner und mache mir Vorwürfe, warum ich so am Ende bin. Ich weiß, dass Meike mit den Kindern etwa bei km 10,5 an der Strecke nahe dem Zielkanal in den ich aber erst nach der vierten Runde einbiegen darf auf mich wartet, um mich anzufeuern und mir Kraft für den Marathon zu geben.

 

Nach gefühlt einer halben Ewigkeit sehe ich Meike…da, da sind sie denke ich mir und mir schießen ein paar Tränen in die Augen. Emma und Moritz haben schon die Arme ausgestreckt in der Erwartungshaltung mit mir einschlagen zu können, so wie wir es immer machen wenn ich vorbeirenne.


Heute aber nicht, nein, heute kann ich nicht mehr, der Akku ist leer. Das wird heute ein langer Tag sage ich zu Meike, bleibe stehen, nehme alle drei in den Arm und genieße den kurzen Moment der Ruhe und Geborgenheit. Papa hörst du jetzt auf fragt Emma – nein sage ich, zu groß ist der Wille das ganze einfach zu beenden. Ich laufe wieder an und versuche die Schmerzsignale die mir mein Körper sendet zu ignorieren.

 

Ich taumel also 42 km durch das schöne Städtchen Cervia, entlang der Strandpromenade, dem Hafen, selbst an unserem Hotel komme ich 4 mal vorbei. Ich schleppe mich immer von Verpflegungsstand zu Verpflegungsstand, greife nach Schwämmen, Eis, Orangen und schütte Red Bull in mich rein, in der Hoffnung, dass der Marathon vielleicht 500 m kürzer ist, als er eigentlich sein müsste, weil die Radstrecke so lang war und ich ja schon 2 km in der Wechselzone zugebracht habe und dass das ja dann nur gerecht wäre.

 

Es müssen 4 Runden gelaufen werden und die Ereignisse aus Runde 1 wiederholen sich fortlaufend bis zur Ziellinie. Im Kopf feiere ich jeden zurückgelegten Kilometer als Triumpf über meine Schmerzen und mit der Ambition das Ding unter 10 Stunden (SUB 10) finishen zu können. Die Glücksgefühle schießen nochmals hoch als ich eine Differenz meiner Laufleistung auf der Uhr (Anzeige 30,3 km) mit der Streckenbeschilderung (30,6 km - Marke) um 300 m ausmache. Du musst 300 m weniger laufen – wie geil! -.

 

Am Ende sind es mit meiner Garmin gemessene 41,7 km der Leiden, die ich mit einem Schnitt von 5:23 min/km und einer Gesamtzeit von 3:45 std. zurückgelegt habe. Im Zielkanal wandelt sich die Anspannung in Stolz, Zufriedenheit und Dankbarkeit um.

 

Ich habe es in 9:53:46 std. ins Ziel eines für mich unglaublich harten Ironmans mit der Unterstützung meiner Familie und ohne dabei den Glauben an mich selbst verloren zu haben geschafft.

 

Erst nach Überschreitung der Ziellinie wird mir bewusst, dass ich durch starke Prellungen und Schürfwunden im Bereich der Schulter, Füße, Arme, Knie und vor allem an der linken Hüfte gezeichnet bin. Bis zum Finish habe ich davon einfach nichts gemerkt.

 

Der Ironman Italy ist ein toller und top organisierter Wettkampf, der meiner Ansicht nach seine Schwächen in der Radstrecke und den Wechselzonen, seine Stärken allerdings in der Lauf- und Schwimmstrecke hat.

 

Was bleibt ist ein wunderschöner Urlaub mir meiner Familie und der Stolz es wieder unter 10 Stunden gepackt zu haben!

 

Was jetzt kommt weiß ich noch nicht. Ich freue mich aber schon wieder auf gemeinsame Trainingstage mit meinen Freunden und darauf, mich wieder normal bewegen zu können.

 

Matthias


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